Ich danke dem Blechbläserquartett für die musikalische Begleitung.
Für uns spielen Simone Candotto auf der Basstrompete sowie Thomas Tamm, Katja und Sören Jacobsen auf der Posaune.
Sehr geehrte Frau Oehme,
Sehr geehrter Herr Dr. Magazowski,
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben uns hier an der KZ-Gedenkstätte Wittmoor anlässlich des 78. Jahrestages der Befreiung des Todeslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 versammelt.
Ich danke der Stadt Norderstedt, deren Engagement zum Zustandekommen dieser Veranstaltung sehr beigetragen hat.
Was man nicht selbst erlebt hat, ist leicht zu vergessen.
Deshalb ist es so wichtig die Berichte jener zu hören, die damals dabei gewesen sind. Und ihre Geschichten zu teilen, damit diese nicht verblassen.
Eine der letzten dieser Zeitzeuginnen ist Margot Friedländer, eine prominente Stimme, die die Erinnerung öffentlich seit vielen Jahren wachhält. Sie selbst hat das KZ Theresienstadt überlebt, ihre Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet, ihr Vater in einem anderen Vernichtungslager.
Vor wenigen Tagen erhielt sie das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
Man könnte denken, das ist alles schon so lange her, es gibt kaum noch Zeugen und die Erinnerung entfernt sich. Und nun verdunkeln aufs Neue Krieg und große Unmenschlichkeit in Europa unsere Gegenwart. Warum im Angesicht dessen an Auschwitz und die Shoah erinnern?
Ich denke, es geht nicht darum, vergangenes und gegenwärtiges Leid zu vergleichen. Aber je weiter Auschwitz historisch von uns rückt, desto schwieriger fällt es uns in Deutschland und Europa, die Erinnerung wachzuhalten.
Das dürfen wir nicht zulassen.
Weil wir es den Opfern der Nazis schuldig sind.
Weil der Holocaust in seiner Monstrosität beispiellos ist.
Und weil uns diese dunkelsten Tage der Menschheit immer wieder als Mahnung dienen sollten.
In Israel mache ich übrigens eine ganz andere Erfahrung.
In Israel spüre ich immer wieder, dass die Erinnerung weiter sehr wach ist.
Dort lerne ich immer wieder Menschen kennen, die Verwandte haben, die die Schoah überlebt haben.
Der Holocaust ist dort weiterhin sehr gegenwärtig.
So auch bei Magdalena Zadorova, geborene Stern, die gerade 103 Jahre geworden ist. Sie ist im Dezember 1919 geboren und lebt in Košice.
Sie hatte einen älteren Bruder, Miklós, und vier jüngere Schwestern. Ihr Vater besaß einen kleinen Betrieb zur Fischverarbeitung.
Nachdem Košice an Ungarn angeschlossen wurde, wurde die Familie Stern ihres Geschäfts beraubt und musste, um zu überleben, ihre Wertsachen verkaufen. Im März 1940 heiratete Magdaléna Andrej Zador aus Uschhorod. Nach einem Jahr wurde er als Arbeiter für die Streitkräfte in die UdSSR gebracht. Am 25. Mai 1944 verließ die ganze Familie Košice mit dem dritten Transport in das Konzentrationslager Auschwitz. Von dort wurden Magda und zwei ihrer Schwestern nach Gleiwitz, später nach Ravensbrück verlegt, wo sie sich mit ihrer anderen Schwester Editatrafen. In diesem Lager erlebten sie die Befreiung und kehrten im Juni 1945 nach Košice zurück. Ihr Vater und ihr Bruder waren kurz vor Kriegsende gestorben. In Košice traf Magda ihren Mann wieder. Mit 98 Jahren, unterrichtete sie immer noch privat Englisch und Deutsch.
Vor einem Monat schrieb Israels Präsident Jitzchak Herzog zu Ihrem 103. Geburtstag:
„… In der jüdischen Tradition wird das Alter seit jeher als Segen angesehen. Die rabbinischen Weisen interpretierten das hebräische Wort für "alt" - za-ken - als einen Hinweis auf Weisheit - ze kana chochma, ein schönes Wortspiel, das auf die unnachahmliche Beziehung zwischen menschlicher Erfahrung und Weisheit verweist.
Und in der Tat, Magdaléna, Ihre persönliche Lebensgeschichte enthält so viel Weisheit für uns alle. Wenn unfassbare Verbrechen zwischen Mensch und Mensch die Rechtfertigung der Menschheit in Frage stellen, spenden Sie und Menschen wie Sie Trost und beweisen, dass der menschliche Geist mit Mut, Ehrlichkeit und Tapferkeit selbst über die brutalste Unterdrückung triumphieren kann und wird. Wie das gesamte jüdische Volk sind Sie aus den dunkelsten Abgründen menschlicher Erfahrung mit einer Widerstandsfähigkeit und einem Glauben an das Leben hervorgegangen, die es Ihnen ermöglicht haben, durchzuhalten und sich wieder aufzubauen.“
Und Magdalena sagt:
„Die Fähigkeit, meinen Optimismus auch in den schwierigsten Situationen zu bewahren, half mir zu überleben.“
Ähnliches hören wir auch von Dr. Edith Eva Eger, der dritten Zeitzeugin, von der ich hier heute sprechen möchte.
Košice ist auch der Ort ihrer Erzählung „Ich bin hier, und alles ist jetzt“. Auch Edith Eva Eger überlebte Auschwitz. Jetzt ist sie eine erfolgreiche Psychologin und Therapeutin in den USA.
Ich möchte Ihnen eine kurze Passage aus Ihrem Buch mit Ihre außerordentliche Geschichte vorlesen:
…
…
Dr. Edith Eva Eger sagt: „Wir können uns kein Leben ohne Leid aussuchen. Aber wir können uns aussuchen, dass wir frei sein wollen, dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen, egal, was uns zustößt, und dass wir das möglich wagen.“
Danke, dass Sie die Erinnerung wachhalten und ein Beispiel für andere geben, dass Erinnerung so wichtig ist.
Danke, dass Sie heute hier sind und mit uns der Opfer der Nazis gedenken.
Lassen sie uns die Erinnerung weiter verantwortlich und würdevoll tragen.
Lassen Sie uns die Zeugenaussagen weiter lesen und hören, solange sie leben, damit wir dann diese weiter erzählen können.
Lassen Sie uns die Zeitzeugen, die noch leben würdigen. Jeder von uns, in unsere Gemeinden und in unserer Stadt Norderstedt.
Ich danke Ihnen für Ihr Kommen.