Redebeitrag Ayala Nagel zur Demonstration 5 vor 33 - Norderstedt gegen rechts

02.02.2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Norderstedterinnen und Norderstedter,

ich bin eine von Euch. Für mich war dieser Satz lange völlig selbstverständlich. Inzwischen ist er es nicht mehr, leider. Ich bin in Haifa, in Israel geboren. Ich bin Israelin und Jüdin und lebe seit 1998 in Norderstedt. Seit 2020 bin ich deutsche Staatsbürgerin. 

Die Gewissheit, ein selbstverständlicher Teil unserer von Demokratie und Menschenrechten geprägten Gesellschaft zu sein, ist einem seltsamen Gefühl gewichen. Und ich glaube, es geht derzeit vielen Menschen in unserem Land so, deren Wurzeln jenseits der Grenzen Deutschlands liegen. 

Da ist diese Unsicherheit: Gehöre ich WIRKLICH dazu? 

Ich fühle mich zugehörig – aber sehen die anderen das auch so?

Deshalb ist es so wichtig und so wertvoll, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in diesen Tagen auf die Straßen gehen und genau dafür demonstrieren: JA – wir gehören zusammen. Wir stehen gemeinsam gegen die Feinde unserer Demokratie und unserer Art des Zusammenlebens: respektvoll, friedlich und freiheitlich.

Vieles erschien für mich die letzten 25 Jahre selbstverständlich. Dass wir alle Menschen gleich behandeln: ohne Vorurteile, ohne Bewertung - als Menschen. Dass wir frei sprechen dürfen. Und dass wir uns ohne Angst in der Öffentlichkeit bewegen können. 

Heute bitten mich Freunde, keinen David-Stern zu tragen und kein Hebräisch auf der Straße zu sprechen, weil es gefährlich sein könnte.

Was ist passiert?

Muss ich mein Jüdisch-sein hier verstecken?

Ich glaube, vielen von uns wird angesichts all des Hasses und der Unmenschlichkeit, die wir in jüngster Zeit erleben müssen, eines plötzlich bewusst: Unser friedliches, von der Demokratie geprägtes Zusammenleben ist NICHT selbstverständlich

Der Historiker Timothy Synder hat es vor Kurzem in einem Interview so formuliert:

Demokratie ist eine Art Ausnahmezustand, sie ist uns nicht von Natur aus gegeben. Demokratien überleben nur, wenn wir wollen, dass sie weiter existieren. Deshalb ist es eine enorme Verpflichtung, alles dafür zu tun, um sie zu erhalten.

Ich bin froh und dankbar, dass derzeit so viele Menschen in Deutschland und auch heute hier in Norderstedt zeigen, dass sie etwas tun wollen – gegen jede Form von Extremismus und Menschenverachtung und für unsere Demokratie.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ist untrennbar mit dem Widerstand gegen Judenhass verbunden, gerade bei uns in Deutschland. Das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland ist ein besonderes. Und die Freundschaft der beiden Länder ist vielleicht so wertvoll und wichtig wie noch nie. Juden werden von allen Extremisten gehasst – von Islamisten, Rechtsextremisten und Linksextremen. Trotz ideologischer Unterschiede eint sie der Hass auf Juden – und auf unsere Demokratie.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

der Publizist Michel Friedman hat in seinem vor Kurzem erschienen Buch eine schlichte Botschaft für seine Söhne formuliert, die aber auch uns allen gilt.

[…] nichts von dem, was die Hassenden über Euch sagen werden, ist wahr oder hat irgendetwas mit Euch zu tun. Diejenigen, die sagen, dass Ihr ein Problem seid, sind das Problem. Befreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen. Hasst nicht. Niemanden.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen:  

Mögen wir auch künftig tolerantoffen und ohne Angst in unserer Stadt Norderstedt miteinander friedlich leben.  

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

 

Ayala Nagel