Norderstedt. Die Diskussionsveranstaltung „Jüdisches Leben – Die Sicherheit jüdischer Gemeinden“ des Europa Netzwerks Norderstedt im Restaurant „Hopfenliebe“ am Rathaus war bestens besucht. Die Gäste informierten sich über die ständig steigende Gefahr des Antisemitismus und des Judenhasses.
Gastgeber Michail Kapakidis konnte Sabine Sütterlin-Waack, Schleswig-Holsteins Innenministerin (CDU), begrüßen, ebenso wie Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und die Landtagsabgeordnete und Landtagsvize-Präsidentin a.D. Anita Klahn.
Diplomaten aus der ganzen Welt waren ebenfalls unter den Gästen, etwa der Generalkonsul Spaniens Francisco Javier Dago Elorza, Kristijan Tusek, Generalkonsul der Republik Kroatien, Gelson Bierd Reyes, Vizekonsul der Dominikanischen Republik und Christian Ancer, Honorarkonsul der Tschechischen Republik. Last, but not least Ayala Nagel von Norderstedter Kulturverein Chaverim – Freundschaft mit Israel.
„Jüdische Einrichtungen unterliegen in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor einer hohen abstrakten Gefährdung durch politisch motivierte Kriminalität“, sagte Sütterlin-Waack. Die schleswig-holsteinische Polizei würde die Sicherheitsmaßnahmen fortlaufend prüfen und und jedem antisemitisch motivierten Übergriff sofort nachgehen.
2021 wurden in Schleswig-Holstein 73 antisemitische Straftaten erfasst. Ein deutlicher Anstieg um 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zwei Taten waren Gewaltdelikte. Mit 47 Fällen machte die Straftat Volksverhetzung den größten Anteil aus.
„Dieser Hass, diese Gewalt ist zutiefst zu verurteilen und zu bekämpfen“, forderte die Ministerin und ergänzte: „Unsere Polizei-Direktionen stehen in engem Kontakt mit den jüdischen Gemeinden und setzen Maßnahmen und Konzepte zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und der Sicherheit der jüdischen Menschen und Gemeinden in Schleswig-Holstein um.“
Es sei nicht nur die Verrohung der Gesellschaft, sondern vor allem der tief sitzende Hass und die Vorurteile gegenüber dem Judentum. Sütterlin-Waack legt einen weiteren Schwerpunkt auf die Präventionsarbeit, vor allem in Schulen, und wünscht sich eine Sichtbarmachung jüdischen Lebens heute. Zudem könnten sich Betroffene und Zeugen von antisemitischen Übergriffen beim „Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“ (Zebra e.V.) beraten lassen.
Ein weiterer wichtiger Ansatz für die Antisemitismus-Prävention sei die Aufklärung und politische Bildung bei Kindern und Jugendlichen über das Judentum, Antisemitismus und Israelhass. Denn häufig würden Kinder Antisemitismus schon im häuslichen Umfeld kennenlernen. „Sie können sich darauf verlassen, dass wir als Landesregierung eine Null-Toleranz-Politik beim Thema Antisemitismus verfolgen“, versprach Sütterlin-Waack.
Von den jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins indes war auf der Veranstaltung trotz Einladung niemand vertreten, um über die wachsende Gefährdung jüdischen Lebens zu sprechen. Die israelische Botschaft ließ aus Berlin per E-Mail mitteilen: „Die deutschen Jüdinnen und Juden schenken Deutschland das Vertrauen, dass sie heute wieder in Sicherheit in Deutschland leben können. Doch dieses Vertrauen ist immer auch abhängig davon, was in diesem Land geschieht. Von vielen Seiten aus wird dieses Vertrauen durch antisemitische Vorfälle strapaziert.“
Der rechte Antisemitismus sei nie verschwunden und würde heute sehr offen auftreten. Der Antisemitismus von links verstecke sich hinter einer akademischer Sprache. Skandale wie bei der Documenta Fifteen seien die logische Konsequenz. „In diesem Jahr ist der 75. Geburtstag des Staates Israel, und wir wünschen uns zu unserem Geburtstag, dass Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt in Sicherheit und Frieden leben können“, schrieb Yaki Lopez, Sprecher der israelischen Botschaft.
Ayala Nagel vom Kulturverein Chaverim sprach vor allem die nahezu schrankenlose Hetze gegen Juden und Israel in sozialen Netzwerken und im Internet an. „Der Antisemitismus richtet sich aber nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern gegen unsere gesamte Demokratie, und für die Demokratie ist jeder einzelne von uns zuständig“, sagte die Israelin.
Sie wünschte sich, dass das Judentum in Deutschland sichtbarer werden könne, und dass Veranstaltungen zum Judentum und zu Israel nicht mehr von der Polizei geschützt werden müsse. Auch sie forderte mehr Aufklärung über Judentum in den Schulen, verwies aber auch auf die Gefahr durch den militanten Islamismus.
„Leider wird der Antisemitismus immer noch von Generation zu Generation weitergegeben und gepflegt“, sagte Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder. „Die Veranstaltung hat gezeigt, dass wir gegen Antisemitismus und den zunehmenden Angriffen gegen Jüdinnen und Juden stärker vorgehen müssen“, sagte Gastgeber Michail Kapakidis abschließend. „Wir stehen als Gesamt-Gesellschaft in der Pflicht, dem Antisemitismus die rote Karte zu zeigen.“
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Sie sprachen über die Sicherheit für jüdische Gemeinden: Francisco Javier Dago Elorza, Generalkonsul Spanien (v. l.), Gelson Bierd Reyes, Vizekonsul Dominikanische Republik, Ayala Nagel von Chaverim – Freundschaft mit Israel, Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder, Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack, Michail Kalpakidis, Vorsitzender Europa Netzwerk Norderstedt, und Christian Ancer, Honorarkonsul Tschechische Republik. Copyright: Heike Linde-Lembke